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Trettmann, KitschKrieg, SFR - Stolpersteine

(Hinweis: Höre Dir den Song vorher komplett an und lies die Lyrics dabei mit!)

 

Trettmann hat gemeinsam mit dem Produzententeam KitschKrieg drei Alben herausgebracht – drei Alben, die im Deutschrap Geschichte geschrieben haben (#DIY, Trettmann und Insomnia). Ihr einzigartiger Sound entsteht durch die Kombination unterschiedlicher Musikstile wie Dancehall, Cloud-Rap und Minimal. Der Song „Stolpersteine“ ist im zweiten Album dieser Trilogie enthalten. Durch den Bezug zum Stolperstein-Projekt Gunter Demnigs wurde er zu einem zentralen Beitrag zur Aufarbeitung des Nationalsozialismus. Die folgende Analyse zeigt, wie eng die Musik mit existenziellen und philosophischen Fragen verknüpft ist.

„Stolpersteine“ ist ein Storytelling einer Geschichte, in der eigentlich kaum etwas passiert: Eine Ich-Person läuft nach einem Rave die Straße entlang, entdeckt einen beschrifteten Stolperstein und hält inne. Alles übrige geschieht im Kopf des Protagonisten.

 

Zwei Zeiten

Der Song wechselt zwischen zwei Zeiten: Einmal spielt er sich in der tatsächlichen Gegenwart ab – der Protagonist ist noch in Gedanken bei einer Bekanntschaft aus der Party – und einmal in den 30er Jahren, wo eine Frau von den Nationalsozialisten deportiert und ermordet wird. Die Charaktereigenschaften beider Frauen werden sich immer ähnlicher – an einer Stelle wird sogar fälschlicherweise die deportierte Frau mit „Du“ angesprochen („…irgendeiner, doch hier steht deiner“).

Erste und dritte Strophe bleiben vorwiegend in der Gegenwart, die zweite findet in der Vergangenheit statt. Auch Trettmann wechselt das Zeitmaß – je nachdem, in welcher Erzählzeit er sich gerade befindet. Der moderne triolische Rhythmus ist der gegenwärtigen Zeit vorbehalten (erste & dritte Strophe). Wenn er von der Vergangenheit rappt, wechselt er in einen langsameren, duolischen Rhythmus (zweite Strophe). Damit springt nicht nur die Erzählung, sondern auch die Musik zwischen zwei Zeiten.

Die Brücke

Der Beat vermittelt zwischen diesen zwei Zeiten. Das Sample ist einem Klavierstück von Niels Frahm entnommen. Dort steht es jedoch im 3/4-Takt. Um daraus einen 4/4-Takt zu machen wird der letzte Schlag einfach wiederholt – quasi als Echo eines dumpfen, leeren Klanges.

Das Klavier, welches damals wie heute eine große Rolle in der Tanzmusik spielt, ist das zentrale Instrument, mit dem sich der Komponist Frahm intensiv beschäftigt hat. Der gedämpft-präparierte Klang des Klavierstückes mit seinen Nebengeräuschen – alles Markenzeichen des Komponisten – fügt sich in den nebligen und berauschten Klang der 30er Jahre nahtlos ein. Er erinnert beispielsweise an meditative Klavierstücke des Komponisten Erik Satie.

Mit dem Einstieg von Trettmanns Rap beginnt auch ein Synthesizer mit einer harmonischen Begleitung:

Besonders der Rhythmus dieser Akkordschicht vermittelt zwischen der damaligen und der heutigen Zeit. Es handelt sich um einen Rhythmus (3+3+2), der seit über hundert Jahren mit Tanzmusik jeglichen Stiles in Verbindung steht. Von der Habanera über Ragtime und Charleston bis zum heutigen Popsong (Ed Sheeran – Shape of You) ist der sogenannte „Tresillo“-Rhythmus durchgehend Bestandteil der Unterhaltungsmusik. Er spielte damit auch in der Tanzmusik der 30er Jahre eine große Bedeutung. Im französischen Afro-Trap wurde der Rhythmus erstmals gehäuft in der Rapmusik angewendet. Spätestens seit dem Album „Palmen aus Plastik“ von RAF Camora und Bones MC ist der Rhythmus auch im Deutschrap allgegenwärtig – ein Album, das von KitschKrieg mitproduziert wurde. Der Beat bildet damit eine Brücke zwischen der damaligen und der heutigen Tanzmusik.

 

Stolpersteine

Die Hook ist denkbar simpel. Trettmann wiederholt mantraartig das Wort „Stolpersteine“. Die Wiederholung hat verschiedene Zwecke:

1. Sie steht für die große Anzahl der Stolpersteine. Trettmann macht darauf aufmerksam, dass hinter jedem dieser einzelnen Steine eine vergleichbare Geschichte und damit auch eine Person steckt.

2. Wiederholung erzeugt Vorhersehbarkeit. Durch Repetition kann man gewissermaßen in die Zukunft „hören“ – schließlich weiß man, was als nächstes und als übernächstes kommen wird. Im übertragenden Sinn gilt das auch für Geschichte: Alles scheint sich zu wiederholen, wie in der Philosophie der „Ewigen Wiederkunft“ nach Nietzsche. (Diese Ansicht ist jedoch diskussionswürdig)

3. Ähnlich wie beim Meditieren erzeugt eine stete Wiederholung irgendwann Stillstand. Man weiß nicht mehr, wie oft wiederholt wurde und verliert damit den Orientierungssinn. Dadurch entsteht Zeitlosigkeit.

Seit den 1960er Jahren haben sich etliche Musiker (beispielsweise Steve Reich, La Monte Young oder Terry Riley) mit solchen und ähnlichen Themen der musikalischen Repetition intensiv auseinandergesetzt. Daraus entstand schließlich die „Minimal Music“, worauf sich Trettmann musikalisch wie auch gesamtkonzeptuell bezieht – bewusst oder unbewusst.

Das Wort „Stolpersteine“ eignet sich aufgrund der Konsonantenverbindung besonders zur akustischen Darstellung des Stolperns. Es steht gleichzeitig mit dem „Clap“ auf der dritten Zählzeit und imitiert damit gewissermaßen den Beat.

 

Fazit

Anders als in der bildenden Kunst, Literatur oder Architektur kann die Musik nicht ohne Zeit auskommen. Klänge und Melodien können nicht stillstehen oder in Ruhe betrachtet werden. Sobald man einen Ton wahrgenommen hat, ist er bereits vergangen. Das Anhalten der Zeit, welches daher eigentlich ein widersprüchliches Thema für Musizierende ist, reizte KomponistInnen seit Jahrtausenden dadurch umso mehr. Sie beschäftigten sich mit Wiederholungen, der Pause und dem Fokus in das Innere der eigenen Gedanken. In der gregorianischen Musik, in fernöstlichen Kulturen, in der „Minimal Music“ oder auch in zahlreichen anderen Beispielen führt eine ständige Wiederholung zu einer Suche nach sich selbst. Rap (mit seinem ständig gleichbleibenden Beat), Trap (besonders die häufigen Wortwiederholungen) wie auch Dancehall eignen sich besonders für eine Darstellung jenes Zeitlosen. Trettmann und KitschKrieg haben zeitlose Kunst geschaffen. Sie haben nicht nur inhaltlich, sondern auch musikalisch eine Brücke zwischen der damaligen und heutigen Zeit gebaut.

Dieser Text ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International.

2024 Daniel Hikaru Grote

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