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Eminem - Lose yourself

Der Song „Lose yourself“ ist einer der größten Erfolge von Eminem - nicht zuletzt weil er den ersten Grammy für den "Best Rap Song" gewann. Nach Eminems ersten zwei kommerziell erfolgreichen Alben, in denen er sich als selbstironische und psychisch labile Kunstfigur inszenierte, treten mit der „The Eminem Show“ und „Lose yourself“ neue Eigenschaften hinzu: Tiefgründigkeit und Virtuosität. Bis heute erfährt er damit eine große Anerkennung von seinen Rapkollegen: „Eminem ist der einzige Rapper, mit dem niemand ein Problem haben möchte.“ (The Game in https://www.youtube.com/watch?v=EuvnkDdogm8)

Der Song ist der Soundtrack des Films „8 Mile“ – eine an Eminems Biografie stark angelehnte Hollywood-Verfilmung. Darin wird der Protagonist B-Rabbit, gespielt von Eminem, auf dem Weg zum Erfolg als Battle-Rapper porträtiert. „Lose yourself“ soll wohl auch während der Dreharbeiten des Films nebenbei entstanden sein.

„Lose yourself“ wurde von Eminem selbst zusammen mit Luis Resto und Jeff Bass produziert. Zu der Zeit, als der Song erschien, war er jedoch noch kein etablierter Produzent. Während er in „The Slim Shady LP” und “The Marshall Mathers LP” vorwiegend als Co-Produzent fungierte – schließlich war er stets Ziehsohn der großen Produzentenlegende Dr. Dre – wurde er ab 2002 zunehmend als eigenständiger Produzent tätig. Der riesige Erfolg von „Lose yourself“ hat ihn schließlich darin bestärkt.

 

Analyse

Intro

Bereits im Intro wird deutlich, dass Eminems Kompositionen so gut wie immer in Moll stehen und harmonisch stets an das 18. Jahrhundert angelehnt sind. Die melancholische Stimmung der Klavierstimme mit synthetisch-atmosphärischen Akkorden wirkt durch die Schallplattenqualität antiquiert – beinahe als wäre es eine Reminiszenz an alte Zeiten. Auf den ersten Blick hat das musikalische Material nichts mit dem späteren Beat zu tun. Wohl eher zufällig ähnelt der Beginn dem Intro von „Heat“ des recht unbekannten Rappers „Hithard“.

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In diesem Fall muss sehr genau unterschieden werden zwischen den Begriffen „Einleitung“ und „Vorspiel“. Während zu Beginn in die melancholische Stimmung eingeleitet wird, – ganz klassisch mit einem harmonisch offenen Ende (Halbschluss) – gibt es anschließend mit dem Gitarreneinsatz ein Vorspiel, in dem bereits der gesamte Song (letztlich auch der gesamte Film) in komprimierter Essenz als spoken word wiedergegeben wird:

“Look, if you had one shot or one opportunity to seize everything you ever wanted in one moment. Would you capture it or just let it slip?”

 

Form

Der Song hat wie fast alle Rapsongs der damaligen Zeit drei Strophen und einen wiederkehrenden  Refrain. Erst mit „Rabbit Run“ aus dem gleichen Album experimentiert Eminem an Formen, die keinen Refrain enthalten. Später wird diese refrainlose Form beispielsweise in „Godzilla“ häufiger von Eminem verwendet. In "Lose yourself" Song bleibt er jedoch in der klassischen Strophenform.

Die Dynamik steigert sich von einer ruhigen Atmosphäre zu Beginn jeder der drei Strophen bis zum heftigen Ausbruch in den Refrains immer mehr und beginnt dann mit der folgenden Strophe wieder im Piano.

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Beat

Auch der Beat baut sich Stück für Stück auf. Der Gitarrenriff klingt zunächst allein. Während das untere d den ganzen Song lang über läuft (später auch verdoppelt vom Bass), klingt auf einer höheren Gitarrensaite abwechselnd a und b. Da diese Töne unterschiedlich laut – von kaum hörbar bis stark akzentuiert – gespielt werden, kann man dies in einem Notensystem kaum adäquat darstellen.

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Die Regelmäßigkeit im Rhythmus wie auch das orgelpunktartige d geben dem Beat den marschartigen Charakter; der verzerrte Gitarrensound klingt düster und beinahe aggressiv – „calm and ready to drop bombs“, wie es in einer späteren Zeile heißt.

Die drei Töne d-a-b, die hier fast durchgehend gespielt werden, sind in d-Moll erste, fünfte und sechste Stufen der Tonleiter. Eine Reduktion auf nur diese drei Stufen taucht im Hip Hop häufig auf – Beispiele hierfür sind: „King Kunta“ (ab 1:13) und „Humble“ von Kendrick Lamar, „Ambitionz Az A Ridah“ von Tupac, „Yeah“ von Usher, „Murder Ink“ von Dr. Dre.

In dieser Gitarrenstimme ist bereits der gesamte Song enthalten: Der Bass wird später nur noch das untere d spielen, die Drums duplizieren lediglich den Rhythmus des ersten Gitarrentaktes und die Harmonik ist ebenfalls mit diesen drei Tönen festgelegt.

Die 808-Drums sind typisch für den West-Coast-Stil: trockene, harte Kicks und Snare, kaum hörbare Hi-Hats (auf den offbeats) und keine weiteren Percussioninstrumente. Der Rhythmus imitiert die Gitarre.

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Lyricism

Zur Flow- und Reimstruktur des Textes wurden bereits mehrfach Analysevideos erstellt, unter anderem hier:

https://www.youtube.com/watch?v=IIz2GTEX434&t=28s

https://www.youtube.com/watch?v=_dmhtgpVJc4

https://www.youtube.com/watch?v=ifIXfkEMxw8

Repräsentativ soll hier die zweite Strophe in Kürze besprochen werden:

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Von der ersten Strophe wird durch einen Zeitsprung Abstand genommen. Während die ersten zwei Zeilen noch der Übergang vom erfolglosen zum gefeierten Superstar bilden, ändert sich die Reimstruktur dort, wo es im Text inhaltlich vorwärts geht („as we move toward“). Von dort bis zum Ende der Strophe bleibt die Reimstruktur beim zweisilbrigen „toward“, „Order“, „normal“ etc. (21 Reime) und dem einsilbrigen Binnenreim „close“, „post“, „grows“ etc. (45 Silben!) – damit wäre die Strophe beinahe ein „one-rhymer“. Diese Reimketten sind unglaublich dicht gesetzt. Dadurch, dass vor allem der „ou“-Laut präsent ist, erhält diese Strophe allein durch die gesprochenen Vokale eine dunkle Klangfarbe.

Entscheidend für den eingängigen Flow ist zusätzlich das rhythmische Motiv, welches ab „close to post mortem“ allgegenwärtig ist. Selbst eine Person, die englisch nicht versteht, kann den Reiz dieser gerapten Lyrik verstehen.

 

Refrain

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Verglichen mit früheren Hits von Eminem („I just don’t give a fuuuuck!”, „Hi, my name is… my name is… my name is… Slim Shady“ oder „Please stand up! Please stand up! Please stand up!“) ist dieser Refrain nicht eingängig und hat auch keine eindeutige Reimstruktur. Eminem rappt nicht mehr: er singt. Die Hook ist die Eskalation einer sich immer mehr steigernden Dynamik. Nach den Strophen, die mit genialen Flows vollgestopft sind, fällt der Refrain in eine totale Anarchie, in der Theorie vollständig versagt. Struktur und Rhythmus werden nicht mehr im großen Kontext betrachtet – alles entsteht und zerfällt im einzelnen Moment.

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Zum Unterstreichen dieser Klimax kommen Streicheinstrumente hinzu sowie ein hoher Klavierpart. Das Motiv T. 2-3 dieser Klaviermelodie wurde der Einleitung entnommen und ist eine Reminiszenz an jene „alte Zeit“, an die zu Beginn erinnert wurde.

 

Fazit

In dem Song zeigt Eminem einmal mehr, dass er die vollendete Form, einen genialen Flow und einen homogenen Beat entstehen lassen kann. Daraufhin geht er noch einen Schritt weiter und bricht im Refrain aus dieser Perfektion aus. In diesem Moment, auf den alle drei Strophen hinphrasieren, wird der entschedende Augenblick eingefangen. Der Song thematisiert ständig einerseits die fortlaufende Zeit ("the clocks run out, time's up, over, blow", "... but the beat goes on" "I was playin' in the beginning, the mood all changed") und andererseits den einzelnen Moment, der gefeiert wird ("Seize everything you ever wanted in one moment", "Lose yourself in the music, the moment...", "...better go capture this moment"). Eminem hat es nicht nur geschafft, über das Anhalten der Zeit zu rappen, sondern sie mit Hilfe vom Textflow auch musikalisch darzustellen.

Dieser Text ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International.

2024 Daniel Hikaru Grote

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