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Zehn Punkte zum politisch Unkorrekten im Rap

1. Musik!!!

Rapper*innen sind in erster Linie Musiker*innen. In Kritiken von Rapsongs sowie in der öffentlichen Diskussion spielen musikalische Aspekte wie Beats, Rhymes und Flow selten eine Rolle. So betsteht eine Diskrepanz zwischen der Detailversessenheit, die in einer professionellen Produktion benötigt wird (jeder einzelne Sound und Laut wird akribisch genau produziert, gemixt etc.), und der thematischen Aufarbeitung in den einschlägigen Medien. Verschiebt man die Diskussion auf musikalische „Skills“, anstatt mit dem Finger auf alles Negative zu zeigen, kann man möglicherweise eine konstruktivere Gesprächsgrundlage finden, als sie bislang üblich ist.

Für solche Analysen braucht man Vokabular und Methoden, welches die Musiktheorie liefern kann.

 

2. HipHop ist mehr als Gangsta-Rap

Man kann ein Bild von HipHop mit drogenverherrlichenden, frauenverachtenden Musiker*innen zeichnen, wenn man die entsprechenden Songs und deren Lines zitiert. Man kann aber auch politisch korrekten, klugen oder gar schönen Rap finden. HipHop ist mehr als Gangsta-Rap. Genauer betrachtet ist der harte Rap – geprägt von Ice-T und in die Welt gesetzt von N.W.A. – sehr viel jünger als HipHop an sich. Dass jedoch nur von den problematischsten und heftigsten Lines berichtet wird, verschiebt den Fokus des allgemeinen HipHop auf den Gangsta-Rap, der dadurch erst recht so groß wurde. Plattenlabels haben sich auf provokante Rapper konzentriert, weil ausschließlich darüber berichtet wurde.  Das „Deutschrap Periodensystem“ ist ein erster Versuch, HipHop ganzheitlich zu betrachten.

 

3. „Die Musik soll nicht schmücken, sie soll wahr sein“ (Arnold Schönberg)

Realness ist ein zentrales Anliegen eines jeden Rappers. Natürlich wird kein Haftbefehl, Sido oder Capital Bra Musik wie Yann Tiersen komponieren oder sich regelmäßig in die Philharmonie setzen. Sie verbalisieren realistisch ihren eigenen Alltag und ihre Gedanken.

Das bedeutet keineswegs, dass jedes Wort der Wahrheit entspricht (das wäre oft auch völlig unrealistisch). Viele große Musiker*innen verwandeln sich in eine Kunstfigur, die in der Öffentlichkeit glaubwürdig erscheint. Durch Rap gelangt diese oftmals dreckige und traurige Wahrheit in das bürgerliche Wohnzimmer. Als Konsequenz daraus sollte nicht das Symptom (also der Rap) bekämpft werden, sondern die Ursache: Man sollte sich um jene sozial schwachen Vorstadtgebiete kümmern, aus der diese Lyrics kommen.

 

4. Geschichte des Gangsta-Rap

Der Gangster-Rap hat eine langjährige Geschichte und ist auf soziale Ungleichheit und Rassismus in den U.S.A. zurückzuführen. Er war von Anfang an die expressive Stimme der Unterdrückten. Aus Mangel an alternativen Mitteln wurde von den Künstler*innen die Provokation gewählt. Ähnlich war es auch in Deutschland (auch wenn die Themen hier teilweise andere als in Amerika waren). Die härtesten Texte entstanden an sozialen Brennpunkten wie in Frankfurt-Rödelheim (Rödelheim-Hartreim), im Ruhrgebiet (Selfmade) und in Berlin (Royal Bunker).

Weil diese Musik wegen ihrer Kontroversen an die Spitze der Charts gelangte, ist der Gangsta-Stil zum Teil der HipHop-Kultur geworden. Kein heute lebender Rapper würde behaupten, unbeeinflusst von Tupac und Biggie zu sein – beide nicht nur Gangsta-Rapper, sondern auch richtige Gangster. Ebenso ist das „Battlen“ wesentlicher Bestandteil dieser Kultur. Das Suchen nach immer krasseren Lines und Texten ist also Teil der HipHop-DNA.

 

5. Reden statt haten

Fast jeder heutige Mensch ist schon mit Rap in Berührung gekommen, denn HipHop ist überall. Hierbei gibt es bei vielen eine Diskrepanz zwischen: „Ich finde homophobe Texte nicht gut“ und „aber Eminem finde ich schon cool“. Diesen inneren Konflikt kann man nicht lösen, indem man sich auf die eigenen Argumente versteift, sondern indem man aufeinander zugeht. Kein Sido oder Haftbefehl wird sich plötzlich umentscheiden, nur weil man ihnen politische Inkorrektheit vorwirft – das haben sie gar nicht nötig. Wenn man ihnen jedoch die Hand reicht, lädt das möglicherweise ein zum Reden.

 

6. Verbote sind nutzlos

Mindestens zwei mal wurde rechtlich gegen die Rap-Szene ohne positives Ergebnis vorgegangen. Als die Justiz in den U.S.A. gegen den aufkommenden Trend der Mixtapes vorgegangen war, wurden anschließend mehr denn je unter der Hand verkauft. Als in den 80er Jahren schließlich die „Parental Advisory“-Aufschrift auf Alben auftauchte, um obszöne Texte zu markieren, beflügelte dies sogar den Verkauf. Ein Verbot gegen Gangsta-Rap würde nur bewirken, dass man HipHop illegal weiter hören würde. Man müsste sich dann die Frage stellen, was die Lücke füllen würde, die Rap hinterlässt.

 

7. Eine aufgeschlossene Gesellschaft?

Ein Teil der Menschheit heute lebt in einer Gesellschaft, die ein hohes Grad an Freiheit und gewisse allgemeine Gesetze hat, an die sich jeder Bürger halten muss. Wenn jemand bis zum äußersten Rand dieses Rechtmäßigen geht, muss man das aushalten – so schmerzhaft es auch für einige Beteiligten sein mag.

Seit jeher haben Kunstschaffende diese Grenzen ausgereizt. Bachs „verwirrende Harmonik“ erschien vielen als Gotteslästerung, Mozarts "Figaro" war pure Provokation gegenüber dem Adel, Strawinskys "Sacre" vereint alles Obszöne der damaligen Zeit, ganz zu schweigen vom anzüglichen Jazz oder Elvis‘ Hüftschwung. Warum sollte es bei Rap anders sein?

 

8. Hoffnung auf Erfolg

Alle Rapper, die in problematischen Gegenden aufgewachsen sind, sagen stets das selbe: Man hat die Wahl zwischen Rap und Kriminalität. Für viele von ihnen war das Rap-Battlen das einzige, was sie gegen eine kriminelle Karriere machen konnten. Somit ist auch nicht verwunderlich, dass viele dieser Musiker*innen dankbar für diese Chance sind und für die kommende Generation wiederum eine wirklichkeitsnahe Vorbildfunktion erfüllen. Letztendlich ist Rap vor allen Dingen deshalb so erfolgreich, weil sich viele mit ihren Musiker*innen identifizieren können.

 

9. Der Skandal und der Erfolg

Schon früh haben Künstler*innen gemerkt, dass Provokation zum Erfolg führen kann – frei nach dem Spruch „Bad publicity is better than no publicity“. Auch im Wien oder Berlin der 1910er Jahre sind viele in Konzerte gegangen, lediglich um Skandale zu erleben. Beispiele dafür sind die Uraufführung von Stravinskys „Sacre“ oder das „Watschenkonzert“ vom Schönberg-Kreis. Besonders gut wirkt diese Devise im Rap. Ausgehend vom Oldschool-Rap wurden die Texte im Boom-Bap, Miami Bass, Hardcore, Gangsta, Trap bis zum Drill immer brutaler, frauenfeindlicher und gewaltverherrlichender – gleichzeitig aber auch erfolgreicher als jemals zuvor.

 

10. Punchline-Humor

Schmähreden funktionieren ähnlich wie das Dissen: Das Lachen über andere Personen ist eine ganz spezielle Form von Humor, die diskriminierend und gleichzeitig total witzig sein kann. Auch wenn im deutschsprachigen Raum ein Versuch mit Compliment-Battles gestartet wurde, konnte es die „richtigen“ Battles nie an Erfolg übertreffen. Sowohl in der Schmährede als auch beim Dissen sind es Worte, die ausgetauscht werden (was bereits schlimm genug sein kann). Tatsächliche Gewalt hat nichts mit HipHop zu tun.

Dieser Text ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International.

2024 Daniel Hikaru Grote

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